"Der Mensch ist frei geboren, doch überall liegt er in Ketten."
- Jean-Jacques Rousseau -



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Die Tragik der Berbersprache Tamazight



  • "je ne sais pas exactement" - ich weiß es nicht genau

    ...dies war die Antwort, die ich von einem in der Kabylei lebenden jungen Mann (knapp 30 Jahre alt) bekommen hatte, als ich von ihm eines Tages - wie ich mir dachte - recht einfache Worte in die Berbersprache Tamazight (ausgesprochen in etwa "Tamasirt") übersetzt haben wollte.


    Nein, ich wollte nichts Abstraktes wissen, ich  wollte ganz einfach wissen, wie

    "Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag"

    in der Kabylei ausgedrückt wird.


    Nachdem sich meine Verwunderung über seine  Antwort gelegt hatte, stellte ich die Frage kurzerhand einem in Deutschland lebenden befreundeten kabylischen Ehepaar, mit dem Resultat, dass ich zwar relativ schnell eine Auskunft bekam, es sich aber bei genauerem Nachfragen herausstellte, dass sie sich nicht sicher waren. Deshalb wurde ich damit vertröstet, dass sie sich später noch mal melden würden (meine Frage stellte ich mittags, da ich ein Geburtstagskind mit einem ungewöhnlichen Geburtstagsgruß überraschen wollte).

    Es war bereits nach 22 Uhr (der Geburtstag war also beinah schon vorbei) als ich die ersehnte Antwort in Form eines Links zu einer Website bekam. Dort fand ich sodann  die gewünschten Wörter und ich konnte also doch noch den berberischen Geburtstagsgruß 
    "Amuli Ameggaz"
    versenden!


    Dass es Menschen gibt, die noch nicht einmal wissen, wie man sich in der Muttersprache zum Geburtstag gratuliert, hat mich dann doch sehr nachdenklich gestimmt und erschüttert. Wobei sich diese Tragik leider nicht nur auf die Gratulation zum Geburtstag beschränkt. Auch weitere übliche Floskeln, wie z.B. "Guten Appetit" sind davon betroffen.


    Die Kabylei gehört zum Vielvölkerstaat Algerien, der ehemaligen Lieblingskolonie Frankreichs. So wurde dort jahrzehntelang eher Französisch gesprochen als die eigentlichen Sprachen Algeriens.
    Das berberische "Tamazight" wurde jahrzehntelang diskriminiert, aus diesem Grund kam es dann 1980 zu einem Aufstand der Berber .

    Diese Diskriminierung - Tamazight durfte weder gesprochen und schon gar nicht geschrieben werden - ist die Ursache dafür, dass es bei den Kabylen ganze Generationen gibt, die kaum Berberisch sprechen, geschweige denn verstehen oder gar schreiben können.
    Erst 2001 - nach einem abermaligen Aufstand  - wurde Tamazight offizielle Nationalsprache, allerdings wird sie leider nicht besonders gefördert. So fehlen beispielsweise vielerorts Lehrer, die diese Sprache unterrichten könnten. Allerdings scheiden sich manchmal die Geister, ob ein bestimmtes Wort nun wirklich berberischen Ursprungs ist oder nur durch den Sprachgebrauch üblich geworden ist.


    Ist man mit Kabylen unterwegs, wird man deshalb mehr oder minder mit einem sprachlichen Wirrwarr  konfrontiert. Hört man immer mal französische Wörter und ist entzückt, etwas zu verstehen, ist man beim nächsten Satz schon wieder außen vor, weil sich Französisch sowohl mit Tamazight als auch mit (algerischem) Arabisch mischt.


    Etwas anderes in Bezug auf das Verbot der Berbersprache ist ebenfalls erwähnenswert; es reichte nicht aus, diese Sprache generell zu verbieten, den Kabylen wurde sogar untersagt, ihren Kindern berberische Vornamen zu geben. So haben in der Generation, die kaum Berberisch beherrscht, die meisten Kabylen keine berberischen Vornamen, sondern arabische. Selbst in unseren Tagen - im Jahr 2013 - stoßen Kabylen immer wieder auf Widerstand, wenn sie ihren Kindern traditionelle berberische Vornamen geben wollen, weil ein Gesetz hierzu aus dem Jahr 1970 willkürlich ausgelegt wird.


    Interessant war einmal eine Begegnung mit einem in Paris lebenden Kabylen, den ich in Marseille kennengelernt hatte. Meine berberische - deutschsprachige - Begleitung hatte immer mal wieder übersetzt, worüber in unserer Runde gesprochen wurde und ich stellte meiner deutschsprachigen Begleitung auf Deutsch die Frage, wie weit das kabylische Heimatdorf des "französischen Kabylen" entfernt von dem Heimatdorf meiner Begleitung sei und bekam wider Erwarten von dem "französischen Kabylen" die Antwort:

    "Ungefähr siebzehn Kilometer."
    Auf Deutsch.

    Mein Erstaunen amüsierte diesen Kabylen sichtlich und es stellte sich heraus, dass er in den 1980er Jahren während seiner Hotelfach-Ausbildung  in der Kabylei  Deutsch gelernt hatte, was an sich vielleicht schon ein kleines Bisschen bemerkenswert ist, aber angesichts der Tatsache, dass die Muttersprache der Kabylen derart vernachlässigt wird bzw. diese bei der Namensgebung immer noch reglementiert werden, doch sehr nachdenklich stimmt.


    Heutzutage ist also Tamazight zwar offizielle Nationalsprache, allerdings wird von der algerischen Regierung im Rahmen der (Zwangs-)Arabisierung Nordafrikas mehr und mehr auf (Hoch-)Arabisch gesetzt. So ist Arabisch mittlerweile wesentlich präsenter als Französisch und es ist immer mehr zu beobachten, dass viele junge Kabylen bereits ihre Schwierigkeiten mit Französisch haben, von der Schwierigkeit mit ihrer berberischen Muttersprache ganz zu schweigen. 
    Wobei das verbreitete Arabisch in Algerien sich von dem Arabischen in anderen Ländern sehr unterscheidet und viele Algerier Hocharabisch nicht verstehen. Deshalb wissen sie - sobald sie im offiziellen Raum (Behörden, Justiz, Politik etc.) damit konfrontiert werden - schlicht nicht, worum es geht.
    Diese dabei entstandene Problematik muss nicht weiter kommentiert werden...




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